Gegenseitige Hilfe statt Militär

Food Not Bombs Szczecin

| Food Not Bombs Szczecin:

Die aus den USA stammende Initiative Food Not Bombs (FNB) wurde in zahlreichen anderen Ecken der Welt umgesetzt. In Szczecin organisieren lokale Anarchist*innen seit über 20 Jahren Food-Not-Bombs-Aktionen. Über die Umsetzung der FNB-Grundsätze, lokale Aktivitäten und Herausforderungen hat Monika Kupczyk mit Ania, Kasia, Michał und Norbert von Food Not Bombs Szczecin für die Graswurzelrevolution gesprochen. (GWR-Red.)

GWR: Food Not Bombs gibt es in Szczecin seit über 20 Jahren. Warum wird diese Idee noch heute umgesetzt?

Food Not Bombs Szczecin: Wir 
haben damit begonnen, als es noch viel mehr Zeit für Treffen und Gespräche gab und der Zugang zum Internet noch nicht so weit verbreitet war. Es ist unmöglich zu sagen, wie wir von der Food-Not-Bombs-Idee erfahren haben, aber nach einigen Diskussionen haben wir beschlossen, sie in Szczecin umzusetzen. Das war in den späten 1990er-Jahren. Und warum sind wir schon so lange aktiv, über 20 Jahre? Die Antwort auf diese Frage ist eigentlich ziemlich traurig: Es besteht nach wie vor Handlungsbedarf für uns. Denn die Zahl der bedürftigen Menschen, die sich in der Krisensituation der Obdachlosigkeit befinden oder mit Armut zu kämpfen haben, nimmt leider nicht ab. Diese Situation gilt für die Food-Not-Bombs-Bewegung als Ganzes, und solange Regierungen und Staaten nicht versuchen, Bedürftigen systematisch zu helfen, wird es weiterhin FNB-Gruppen geben.

Wie habt ihr angefangen? Wie sieht eure Aktivität aus?

Die ersten Lebensmittelverteilungsaktionen fanden im Winter 1999 statt. Als wir beschlossen, die Gruppe Food Not Bombs in Szczecin ins Leben zu rufen, wohnten einige von uns in einem Studierendenwohnheim, wo wir Zugang zu einer großen Küche hatten. Das hat uns zu Beginn unserer Aktivität geholfen. Es gab einen Ort, an dem wir uns treffen, reden und gemeinsam kochen konnten. Mit der Zeit kochten wir auch in Privatwohnungen, und ein Restaurant stellte uns seinen Küchenraum zur Verfügung.
Unsere Aktivität besteht in der Zubereitung von Mahlzeiten aus Produkten, die im Handel ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben und weggeworfen würden, und in der Verteilung dieses Essens an Bedürftige. Und hier kommen wir zu dem Punkt, dass wir uns als Teil der weltweiten Food-Not-Bombs-Bewegung sehen und alles, was wir tun, in Übereinstimmung mit drei Prinzipien tun, die in den 40 Jahren der Bewegung entwickelt wurden. Diese Grundsätze sind:

  • Die Mahlzeiten sind fleischfrei (vegetarisch oder vegan) und für alle Bedürftigen kostenlos.
  • Jede Gruppe ist autonom, und alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen.
  • Die FNB ist keine Wohltätigkeitsorganisation. Es handelt sich um eine politische Aktion, die auf sozialen Wandel abzielt. Der dritte Punkt ist sehr wichtig: Wir sind nicht karitativ, sondern machen auf verschiedene politische Themen aufmerksam.

Die Grundbotschaft lautet, dass das Problem des Hungers und der Armut nicht durch einen Mangel an Nahrungsmitteln, sondern durch eine ungerechte Verteilung der Ressourcen verursacht wird. Es wird zu viel Geld für Militarismus und Rüstung ausgegeben und zu wenig für die Unterstützung der Bedürftigen.

Wer nimmt an den FNB-Aktivitäten teil? Sind es hauptsächlich Anarchist*innen?

Jede*r kann kommen und helfen. Die Zusammensetzung unserer Gruppe ist nicht festgelegt. Wir laden alle ein, die helfen wollen, Zeit haben und kochen wollen und vor allem alle, die mit unseren Grundsätzen einverstanden sind. Wir fragen die Leute nicht nach ihren Ansichten; die meisten der Aktiven sind Anarchist*innen oder Sympathisant*innen, aber wir verschließen uns niemandem. Die Zusammensetzung unserer Gruppe ist nicht konstant. Manchmal taucht jemand Neues auf, manchmal verlässt uns jemand aus verschiedenen Gründen. Manche sind von Anfang an, andere erst seit kurzem dabei.

Wie sieht die Organisationsstruktur von Food Not Bombs aus? Wie oft organisiert ihr FNB-Aktionen?

Wir sind keine Organisation, sondern eine Idee, eine Bewegung. Die FNB in Szczecin hat, wie alle anderen Gruppen, keine hierarchische Struktur. Jede FNB-Gruppe ist unabhängig, und die Entscheidungen werden im Konsens getroffen.
Seit Jahren sind wir so vorgegangen, dass wir jedes Jahr in der Zeit aktiv werden, in der die Hilfe am dringendsten benötigt wird: Von Herbst bis Frühjahr. Es handelt sich um einen intensiven 6- bis 7-monatigen Zeitraum im Jahr. Gekocht wird einmal pro Woche, immer sonntags. Wir könnten es öfter und das ganze Jahr über tun, aber weil wir es auf diese Weise und einmal pro Woche tun, bestehen wir schon so viele Jahre lang. Das ist die Art von Aktivität, die wir uns leisten können. Neben FNB sind wir an einer Reihe weiterer Initiativen beteiligt. Abgesehen davon haben wir alle ein Familien- und Privatleben, und wir versuchen, unsere Aktivitäten so auszubalancieren, dass sie keinen unserer Lebensbereiche beeinträchtigen: Unsere persönliche oder familiäre Situation und unsere aktivistische Tätigkeit.
Neben der Verteilung von Lebensmitteln nehmen wir an Protesten und Demonstrationen teil, die von Gruppen organisiert werden, die uns weltanschaulich nahestehen, z. B. in Bezug auf den Schutz der Natur, die Unterstützung von LGBT+-Personen oder dem Kampf für die Rechte der Frauen. Wir verteilen heißen Tee, und manchmal halten wir auch Reden.

Wie kann mensch sich der FNB-Gruppe anschließen, um mitzuarbeiten?

Zunächst schlagen wir vor, dass die Menschen zu einer Aktion kommen, um zu sehen, worum es geht und ob es etwas ist, das sie gerne machen würden. Wir empfehlen immer einen persönlichen Kontakt zu Beginn. Mit uns kann jede*r zusammenarbeiten, die*der helfen will und der*dem die von uns aufgeworfenen Probleme nicht gleichgültig sind, und darüber hinaus jede*r, die*der die drei Grundsätze akzeptiert, die wir bereits erwähnt haben und die uns leiten.
Unsere Gruppe, die Aktion, ist in gewisser Weise ein revolutionärer Inkubator für Aktivist*innen. Oft ist unsere Aktivität die erste Begegnung mit solchem sozialen Aktivismus. Und sie ist oft ein Sprungbrett für Aktivitäten in anderen Gruppen. Es gibt aber auch Menschen, die bereits Erfahrung im Aktivismus haben, aber durch die Zusammenarbeit mit uns werden ihre Ansichten anarchistischer oder sogar radikalisiert.

Mit welchen Problemen seid ihr als Initiative konfrontiert? Wie löst ihr diese Probleme?

Die Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, sind ganz alltäglich: Manchmal haben wir nicht genug Leute, um zu arbeiten, wir haben keinen festen Ort, an dem wir kochen können. Manchmal muss mensch auf ihre*seine private oder familiäre Zeit verzichten. Es kann auch vorkommen, dass wir in unserer Arbeit ausbrennen und eine Pause brauchen. Wir lösen Probleme auf unterschiedliche Weise. Wenn wir bei einem bestimmten Thema Hilfe brauchen, geben wir es manchmal auf unserer Website bekannt, wenden uns an die Presse oder suchen bei unseren Kontakten nach anderen Lösungen. Vieles hängt vom guten Willen der Menschen ab, die uns helfen.

Was sind eure Aktivitäten?

Unsere Aktivitäten bestehen in erster Linie darin, in den Herbst- und Wintermonaten kostenlose warme vegane/vegetarische Mahlzeiten anzubieten. Auf diese Weise können wir nicht nur jede Woche Dutzende von hungrigen Menschen ernähren, sondern auch dazu beitragen, Lebensmittel zu retten, die weggeworfen worden wären, wenn wir sie nicht verwendet hätten. Wir verteilen nicht nur Lebensmittel, sondern auch warme Kleidung, Reinigungsmittel und Schutzmasken. Wir sind uns bewusst, dass die Ausgabe von Mahlzeiten an Bedürftige nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist und sicherlich nicht die meisten Probleme der von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen löst, aber wir sind dennoch der Meinung, dass es sich lohnt, etwas zu tun.

Mit welchen Organisationen arbeitet ihr zusammen? Was ist der Zweck dieser Zusammenarbeit?

Wir arbeiten mit anderen FNB-Gruppen hierzulande und international zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und uns gegenseitig zu helfen. Wir arbeiten aber auch mit anarchistischen Gruppen und radikalen Klimaaktivist*innen zusammen.
Wenn wir überschüssige finanzielle Mittel haben, unterstützen wir andere Organisationen. Wir haben Mittel für Klima-aktivist*innen bereitgestellt, die 
gegen die Abholzung des Biało-wieża-Waldes protestieren, wir haben Geld an das Anarchist Black Cross in Belarus geschickt. Derzeit wollen wir ein Zentrum für politische Geflüchtete unterstützen. Auf lokaler Ebene arbeiten wir mit der Vereinigung „Jadłodzielnia” (1) zusammen, die uns bei der Beschaffung einiger Lebensmittel hilft.

Hat sich die Situation während der Pandemie deutlich verschlechtert? Mit welchen Problemen seid ihr konfrontiert?

Die Pandemie ist ein interessantes Thema. Wir haben den so genannten Pandemie-Effekt erlebt, bei dem sich mehr Menschen für Hilfe engagieren. Wir waren lange Zeit in unseren Häusern eingeschlossen, es gab einen Lockdown, die Leute arbeiteten im Homeoffice, und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb waren sie bereit, uns zu helfen. Wegen der Hygienemaßnahmen, die wir auch selbst einzuhalten versuchten, kündigten wir an, dass wir Glasbehälter für die Ausgabe der Mahlzeiten benötigten. Daraufhin erhielten wir von den Be
wohner*innen von Szczecin eine riesige Menge davon. Das Gleiche gilt für Lebensmittel wie Mehl, Grütze, Nudeln und Öl. Viele Menschen kamen zu uns, nicht nur, um uns diese Produkte zu bringen, sondern auch, um Kuchen zu backen und uns finanziell zu unterstützen. Auch kamen während der Pandemie mehr Menschen in den Genuss unserer Hilfe. Es gab lange Warteschlangen für das Essen. Dabei handelte es sich nicht nur um Obdachlose, sondern z. B. auch um Arbeiter*innen aus der Ukraine.
Unser größtes Problem während der Pandemie war wahrscheinlich das Fehlen eines eigenen Raums, in dem wir kochen konnten. Wir haben eine große Küche in einer mit uns sympathisierenden reformpädagogischen Schule benutzt, aber in der neuen Saison werden wir wieder schauen müssen, wo wir kochen können. Zu Beginn der Pandemie haben wir zu Hause selbst Lebensmittel zubereitet und sie an öffentliche Orte gestellt.
Was die Pandemiesituation in Polen anbelangt, so haben wir uns den Regeln angepasst. Wir beschränkten die Anzahl der Personen, die an einem Ort kochten, und bereiteten Backwaren oder andere Gerichte zu Hause zu. Bei der Essensausgabe haben wir die Anzahl der Personen, die die Mahlzeiten verteilen, reduziert, wir haben Abstand gehalten und Schutzmaßnahmen ergriffen. Es mag den Anschein haben, dass Anarchist*innen sich nicht an Regeln und Vorschriften halten, aber hier ging es um die Sicherheit der Menschen, die zu uns kommen, und auch um unsere eigene. Viele ältere und kranke Menschen kommen zu uns, um zu essen, sie riskieren viel mehr. Während der gesamten Pandemie verteilten wir auch Schutzmasken, die von einer Kollegin aus unserer Gruppe genäht wurden.

Kommen Menschen, die Food Not Bombs nutzen, mit Problemen zu euch, und wenn ja, mit welchen? Was sind die Ursachen für ihre Probleme?

Zu uns kommen nicht nur Obdachlose, sondern auch Menschen, die sich einfach nur in einer schwierigen Lebenssituation befinden. Rentner*innen, die sich nach dem ganzen Arbeitsleben oft nicht die grundlegendsten Dinge wie Lebensmittel oder Medikamente leisten können, kommen zu uns und bitten um Hilfe. Die Menschen schildern uns die Gründe für ihre Situation – oft ist es ein Unfall, eine Krankheit oder eine unglückliche Familiensituation. Wir sind in der Lage, ihnen bei den kleinen Problemen des täglichen Lebens zu helfen: Hilfe bei der Beschaffung von Dokumenten, beim Passbild machen, beim Kauf einer Brille. Aber wir werden auch oft um Hilfe wegen Schuhen, warmer Kleidung und Schlafsäcken gebeten. Diese Probleme sind auf die Armut zurückzuführen, denn für diese Menschen sind es oft enorme Ausgaben, die sie sich nicht leisten können.

Sind eure Aktivitäten wirksam? Welche Erfolge habt ihr erzielt?

In Anbetracht der Tatsache, dass wir als Gruppe die Gesellschaft in irgendeiner Weise verändern wollen und keine Wohltätigkeitsorganisation sind, ist es schwierig, über messbare oder wirksame Aktivitäten, geschweige denn über Erfolge zu sprechen. Ein Erfolg wäre es, wenn wir Essen anbieten würden und es keine Abnehmer*innen gäbe. Das würde bedeuten, dass niemand hungert und niemand in Not ist. Was die Wirksamkeit betrifft, so gibt es manchmal Situationen, in denen uns jemand erzählt, dass wir ihr*ihm einmal geholfen haben, als sie*er in Not war, und jetzt hat sich ihre*seine Lebenssituation verbessert, und nun wird sie*er uns mit einer finanziellen Spende für unsere Aktivitäten helfen – das ist wahrscheinlich das Maß für die Wirksamkeit.

Was ist die größte Herausforderung bei eurer Aktivität?

Die größte Herausforderung besteht darin, der Gleichgültigkeit und Ignoranz der Menschen zu begegnen, die das Problem der Armut sehen und so tun, als ginge es sie nichts an. Ein weiterer Punkt ist die Akzeptanz der Lebensmittelverschwendung.

Wird über euch auch in den Mainstream-Medien berichtet? Hilft euch die Berichterstattung über eure Aktivitäten dabei, eure Arbeit fortzusetzen?

Wir werden von Journalist*innen der lokalen Medien (Zeitungen, Radio, Fernsehen) kontaktiert. In der Regel erinnern sie zu Beginn jeder Saison an unsere Aktivitäten, damit sie eine möglichst große Reichweite haben. Letztes Jahr haben sie einen großen Artikel auf der Titelseite über uns geschrieben, als es an Lebensmitteln mangelte, weil es so viele Bedürftige gab. Die Resonanz war enorm, und wir wurden mit Lebensmitteln beschenkt. Mit einigen Medien weigern wir uns zusammenzuarbeiten, z. B. sprechen wir nicht mit den regierungsnahen Medien, damit niemand unsere Aussagen verzerrt oder aus dem Zusammenhang reißt. Einmal geschah es, dass die staatlich geförderten Medien über unsere Aktion berichteten.

Wie kann mensch euch unterstützen?

Mensch kann uns auf vielerlei Weise unterstützen. Indem mensch Infos über unsere Aktion teilt, unsere Seite likt, um Informationen über unsere Aktivitäten zu erhalten, oder unsere Aktivität finanziell oder mit Sachleistungen unterstützt. Wir nehmen nichtverderbliche Lebensmittel, warme Kleidung und sogar Garn an, das wir zu Mützen und Schals verarbeiten. Mensch kann uns auch unterstützen, indem mensch eine eigene lokale Gruppe gründet, um die Idee zu verbreiten. Werft keine Lebensmittel weg, sondern recycelt sie. Teilt mit denen, die es am nötigsten haben. Am besten, schreibt uns eine E-Mail oder besucht uns auf Facebook.

Danke für das Gespräch!

(1) Organisation, die u. a. den Ort bereitstellt, wo Foodsharing und der Tausch von Gegenständen, z. B. Kleidung, Spielzeug und Küchengeräten, stattfinden können. Sie unterstützt Menschen in schwierigen Lebenslagen. Siehe: http://www.jadlodzielniaszczecin.pl/
fnb_szczecin@op.pl
www.fb.com/
FoodNotBombsSzczecin/

Food Not Bombs Szczecin:
Ania, Kasia, Michał, Norbert

Interview, Übersetzung und
Anmerkungen: Monika Kupczyk

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